herbstgarten / ‘theorie der gartenkunst’ von christian cay lorenz hirschfeld

Die Natur ist in dieser Zeit nur noch beschäfftigt, den Segen ihrer letzten Früchte abzuliefern, und bereitet sich allmälig zu ihrer Ruhe vor. Die Blätter beginnen zu welken, und zu fallen; die Kraft des Wachsthums und des Lebens wird erschlafft; alles, selbst bis auf den Tag, nähert sich der Abnahme. Indessen fehlt es dem Herbst, noch außer den frohen Scenen der letzten Aerndte und außer den Festen der Weinlese, nicht an Anmuth. Die Hitze ist zu einer milden Wärme gemäßigt. Eine feyerliche Stille schwebt über Fluren und Wälder. Der Himmel schmücket sich mit einer sanften Heiterkeit; die leichten Gewölke, die zuweilen an seinem blauen Gewölbe erscheinen, stehen wie silberne Spiegel, oder wie kleine Malereyen, welche die allgemeine Einfärbigkeit unterbrechen, und bald röthliche Hügel mit grauen Thälern, bald andere landschaftliche Bilder nachzuahmen scheinen. Die Morgennebel, die das Laub der Bäume langsam tödten, erfrischen das Grün der Rasen. Und welche malerische Schauspiele, wenn sich aus ihnen das Licht des Tages entwickelt, und eine neue Schöpfung in verklärter Schönheit hervorsteigt! Stille, dankbare Behagung über die letzten Wohlthaten der Natur und sanfte Melancholie bey dem Anblick der Scenen, die nichts mehr zu hoffen übrig lassen, bey den trüben Scenen der Vergänglichkeit, sind die beyden Hauptempfindungen, die der Herbst erregt. Der Geist übergiebt sich der Ruhe zu ernsthaften Betrachtungen, und über alle Empfindungen verbreitet sich eine gewisse unbeschreibliche Milde, gleich einem schönen Herbstabend, der die leichten ihn umschwebenden Thaugewölke mit lieblicher Rosenhelle durchgießt.

Die Wälder und Gebüsche stellen uns in dieser Jahreszeit ein neues Schauspiel der Farbenmischungen vor Augen. Im Sommer war die ganze Natur in Grün gekleidet. Jetzt wandelt es sich nach und nach von einem Ton zum andern, von dem Blaßgrünen und Gelblichen bis zu dem Röthlichen, Dunkelrothen und Braunen, mit unendlich verschiedenen Abfällen und Schattirungen. Durch diese Veränderung des Laubes giebt schon die Natur Gemälde, die der Frühling und Sommer bey aller ihrer Schönheit nicht haben.

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Andere wilde Bäume und besonders Sträucher tragen im Herbst Beeren von gelber, blauer, vornehmlich rother Farbe, die nicht allein den Haynen und Gebüschen ein schönes und muntres Ansehen geben, sondern sie auch durch Herbeylockung der Vögel beleben, und das Vergnügen des Vogelfangs begünstigen. […]

Doch ist der Herbst besonders die Zeit der Reifung so vieles trefflichen Obstes, dessen Einsammlung ein wahres Fest der Natur ist. Nicht weniger tragen die mancherley Baumfrüchte, sowohl durch ihre Formen, als auch durch ihre milden und lebhaften Farben, zur Verschönerung der Herbstscenen bey. Der Weinstock besonders fordert hier seine Stelle. Man kann ihn brauchen, bald zur Umkränzung der Pflanzung, bald zu Lauben oder Bogengängen; man kann ihn an den Wänden der Gebäude hinaufleiten, oder ihn an andern Stämmen hinaufklettern und von Baum zu Baum herüberhängen lassen. In Gegenden, deren Klima den Weinbau begünstigt, ist ein kleiner Weinhügel ein fast nöthiges Zubehör des Herbstgartens, wenn er nicht schon in der Nachbarschaft von Weinbergen liegt.

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Fast alle diese malerischen Veränderungen, die der Herbst hervorbringt, sind nur von kurzer Dauer; aber Beobachtung und Geschmack können sie doch zum Genuß nicht bloß anhalten, sondern selbst zu einer längern Folge vereinigen. Der Gartenkünstler muß allen den schönen Zufälligkeiten, welche diese Jahreszeit in seiner Gegend begleiten, immer einen aufmerksamen Blick widmen; er wird seine Beobachtung belohnt sehen, indem er der Natur die anmuthigsten Gemälde ablauscht. Bey der Mischung der Farben in Bäumen und Sträuchern kann er eine Mannigfaltigkeit von Verbindung und Gegenstellung zeigen, die keine andere Jahreszeit kennt. […]

christian cay lorenz hirschfeld, ‘theorie der gartenkunst’, bd. 4, leipzig, 1782

 

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