sommergarten / ‘theorie der gartenkunst’ von christian cay lorenz hirschfeld

Der Charakter des Sommers hat seine ausgezeichneten Unterscheidungstheile. Alle Gewächse schwelgen nun in der ganzen Stärke ihres Wachsthums, und die Früchte der Fluren und der Bäume glühen ihrer Reifung entgegen. Tausend Blumen stehen in der Fülle ihrer Schönheit aufgeschlossen. Ueberall schwebt das überschattende Laubwerk umher, ganz enthüllt und ausgewickelt zu reichen Wölbungen; das Grün hat seine völlige Farbenkraft erreicht. Die Wälder wallen in der stolzen Schönheit ihres Laubes. Die Wiesen verhauchen einen Reichthum von Düften, und beleben sich mit den frohen Scenen der Einsammlung des Grases, wo unter den Geschäfften der Schnitter und der Garbenbinderinnen bald ein ländlicher Scherz, bald ein Lied von Liebe, bald der Schlag der nachbarlichen Wachtel ertönt. Mit ihnen wechseln die Auftritte der mannigfaltigen Kornärndte. […] Alle Scenen der Natur erscheinen in ihrer ganzen Pracht und Vollkommenheit. Die Gewitter bilden in den Wolken die herrlichsten Schauspiele für das Auge. Mit der steigenden Hitze vermehrt sich der erquickende Schatten, mit dem längern Lichte die tiefere Dunkelheit der Wälder.

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Wir suchen in dieser Zeit die Erquickungen des Schattens. Ein dichter Wald voll Buchen oder Eichen ist demnach ein treffliches Geschenk der Natur. Aber auch der Fleiß muß hier oft pflanzen. Gedrängte Gruppen und Hayne von Bäumen, die durch die Größe und den Reichthum des Laubes eine angenehme Bedeckung anbieten, müssen den Sommergarten überschatten.

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Mit allen diesen Bäumen und Sträuchern können Stauden, Zwiebelgewächse und einjährige Pflanzen mit Blumen, wovon der Sommer eine so große Menge für die Zierde der Gärten hervorbringt, in Gruppen, Haynen, Spatziergängen, Lauben und Ruhesitzen, zur Bildung sehr reizender Scenen, verbunden werden. Außerdem geben auch die Sommerblumen auf Rasen und am Rande des Wassers, worinn sie den Wiederschein ihrer Farben bilden, Verzierungen von einer großen Anmuth und Lebhaftigkeit.

Auch können in die Pflanzungen des Sommers mit gutem Geschmack solche Obstbäume eingestreut werden, die ihre in dieser Zeit reifende Früchte lieblich färben, als der Apricosenbaum, der Kirschbaum, und einige frühzeitige Arten von Aepfelbäumen. Sie erfrischen das Auge mit einer reizenden Abwechselung, und erhöhen die Vorstellung von der mannigfaltigen Fruchtbarkeit der Jahreszeit.

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Gebäude sind selbst ein Bedürfniß des Sommergartens; allein sie können zugleich sehr wichtige Gegenstände der Verschönerung seyn. Sie sollen zunächst Schirm vor der Hitze und Genuß der Ruhe gewähren; ihre Lage sey schattigt und kühl. Bey dem vollen Reichthum des Laubes, der dieser Jahrszeit eigen ist, können sie, besonders durch ihre Lage, Farbe und Verbindung mit Bäumen und Wasser, überaus malerische Gegenstände werden. Sie können außerdem von mannigfaltigen Charakteren seyn. In einer reichen und fruchtbaren Gegend prange ein Tempel, der Ceres oder der erzeugenden Natur gewidmet; in einem waldigten Dickigt sey es ein rohes Borkhaus, und nahe bey einer Weide eine kleine niedliche Milchhütte, die bezeichnend die Scene verschönere. Auch ein Badhäuschen ist in einem Sommergarten mehr, als ein bloßer Gegenstand des Vergnügens.

christian cay lorenz hirschfeld, ‘theorie der gartenkunst’, bd. 4, leipzig, 1782.

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